Bordairrace Hochschwab 2020: Der erste Hike & Fly-Wettbewerb nach Corona

Bordairrace Hochschwab 2020: Der erste Hike & Fly-Wettbewerb nach Corona

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Herbst 2019. Tomy Hofbauer und Willi Ludwig, die beiden Bordairrace-Veranstalter, kündigen die Termine und Veranstaltungsorte für die Serie 2020 an. Von Corona weiß noch keiner was. Die Welt dreht sich noch rund. Ich mache mich frohgemut an die Planung: Salzburg mit dem Gaisberg, Graz mit dem Schöckl und Aflenz mit dem Hochschwab stehen auf dem Plan.

A – F – L – E – N – Z? Ich dachte immer, ich würde mich in den Alpen ganz gut auskennen… Aber Aflenz?! Nicht mal gehört. Und der Hochschwab? Irgendwo ziemlich weit rechts drüben auf der Landkarte. Aber umso besser! Ich liebe es, unbekannte Regionen beim Hike & Fly zu erkunden.

Frühjahr 2020. Corona schlägt zu. Alles steht in Frage. Events werden verschoben oder abgesagt. Oder erst verschoben und dann abgesagt. Für Tomy und Willi sicher keine leichte Zeit. Die beiden sind ja keine professionellen Event-Veranstalter, sondern begeisterte Hike & Flyer. Sie machen das für sich und für die Community. Verdient wird beim Bordairrace sowieso nichts. Im Gegenteil, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Leistungen geboten werden, ist die Teilnahme ein Schnäppchen: der Event selbst, Live Tracking, die Tracker werden gestellt, ein richtig hochwertiges T-Shirt, es gibt tolle Sachpreise zu gewinnen, Nudelparty, Frühstück, beste Betreuung per SMS unterwegs, und und und… Da ist so mancher Lauf-Event mit 5000 Teilnehmern eher ein Rip-Off.

Startplatz Bürgeralm. Nach Süden (links): ein Traum (allerdings nicht bei Nordwind). Nach Norden: na ja…

Am 4. und 5. Juli 2020 findet dann tatsächlich das Bordairrace Hochschwab statt. Die Behörden erlauben es und wir Piloten hoffen, dass sie wissen, was sie tun. Mich persönlich freut es sehr. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Normalität und ich mag die Bordairrace Community einfach. Viele Athleten kommen schon seit Jahren und ich empfinde die Stimmung eher als freudvolles Miteinander als dass ich gegen Gegner „kämpfe“. Ich freue ich mich eher, dass es auf der Welt noch andere „Verrückte“ gibt, die es gut finden, sich innerhalb von 33 Stunden vom Startpunkt fliegend und wandernd möglichst weit zu entfernen und wieder rechtzeitig heimzukommen. Denn es gehört durchaus eine gewisse Leidensbereitschaft und Leidensfähigkeit dazu, hier mitzumachen.

Ich habe wieder mal Glück: Johanna Heimpold, Kollegin im NOVA Pilots Team, erklärt sich bereit, mich zu supporten. Ein Supporter ist Gold wert! Ich weiß gar nicht, ob sich die Supporter selbst dessen bewusst sind. Es ist schon verdammt nett, wenn sich jemand ein langes Wochenende dafür Zeit nimmt. Auf dem Weg nach Aflenz erreicht uns noch ein Anruf von Werner Luidolt, ebenfalls NOVA Team Pilot. Ob wir ihn mitnehmen können, sein Auto sei kaputt. Können wir.

Die Herzlichkeit des Abgelegenen

Und dann Aflenz. Es ist, ja wie soll man sagen, etwas abgelegen. Aber sehr liebenswert. Wer, wie ich, im Chiemgau wohnt und selbst unter der Unzahl der Besucher leidet, freut sich umso mehr, mal in einen Ort zu kommen, wo man sich wirklich über Besucher freut, weil es eben nicht so viele sind. Roman Wasylkiw ist vor Ort der Hauptansprechpartner und Race Director. Auch er ist – wie das gesamte Team des Paracenter (www.para-center.at) – extrem engagiert und hat dieses Leuchten in den Augen. Was für herzliches Willkommen! Und welche Freude, die anderen „Verrückten“ wiederzusehen.

Roman Wasylkiw versucht 80 Rennpferde zu koordinieren…

Nach dem Briefing gibt es noch die Siegerehrung der Serie 2019 (https://races.bordairrace.com/season/2019). Gerald Gold als Gesamtsieger gewinnt einen MENTOR 6. Am nächsten Tag wird er mir erzählen, dass er ihn sich mit seinem Supporter René Lenz teilt. „Der Supporter hat einen großen Anteil am Ergebnis. Und René ist der beste Supporter überhaupt. Das hat er sich verdient.“ Jawoll, da ist er wieder der Bordairrace-Spirit!

Ich selbst versuche, auch dazu beizutragen. Letztes Jahr im Montafon belegte ich in der Fun-Klasse Platz 3 und bekam einen respektablen Pokal. Später bemerkte ich, dass Christof Bolz, der wahre Dritte gewesen wäre, aber sich falsch angemeldet hatte. Rein sportlich gesehen flog er aber einen EN B-Schirm. Also gehört der Pokal bei ihm zu Hause ins Regal und so überreiche ich ihn jetzt.

Siegerehrung über ein Jahr später: Der wahre Dritte im Montafon war Christoph Bolz.

 

Welche Route wählen bei soviel Ahnungslosigkeit?

Da ich völlig ahnungslos von der Gegend bin, bin ich nicht minder ahnungslos bezüglich des Streckenfliegens dort. Also habe ich mir ein paar Tracks der Locals angeschaut. Rein topografisch liegt Aflenz in einem Becken südlich des Hochschwab-Gebirgsblocks. In jener Hochschwab-Gruppe dürfen wir nicht starten, der Herr Graf mag das nicht. Wir stören seine Hirsche. Schade, aber das muss man halt respektieren. Der Norden ist also ein No-Go. Nach Südwesten verwehren die Lufträume des Flughafens Zeltweg hohe und damit weite Flüge. Nach Südosten könnte man Richtung Graz fliegen, aber dort gäbe es gleich am Anfang erst mal zwei sehr große Talsprünge und danach wenige Startplätze. Nach Osten führen diverse Tracks zur Rax und weiter zur Hohen Wand. Die völlig offensichtliche Rennstrecke führt nach Westen: zunächst über ein topografisch etwas „chaotisches“ Gebiet ohne „geordnete“ Täler und schließlich auf der Nordseite des langen gerade Tals entlang der Pyhrn-Autobahn.

Dumm nur, dass die Wettervorhersage kräftigen Nordwest- bis Nordwind vorhersagt. Das riecht nach viel Leethermik fliegen. Werner, der alte Segelflieger weiß: „Das dürfte ziemlich sportlich werden!“

Noch zehn Minuten vor dem Start ist mir unklar, wohin ich gehen soll… Auf der Aflenzer Bürgeralm, dem Hauptstartplatz müsste man nach Norden über eine (Fast-)Klippe raus oder nach Süden ins Lee. Beides doof. Der Schießling liegt im Nordosten von Aflenz und verspricht etwas besseren Schutz gegen den Nordwind. Aber erst nach Osten zu gehen, wenn meine Hauptbewegungsrichtung Westen sein soll? Also laufe ich zur Messnerin. Da gehen auch mehrere Einheimische hin und Cracks wie Simon Oberrauner, Markus Anders, Tom Friedrich, Lars Budack oder Gerald Gold.

 

Am Fuß der Messnerin, so mein Plan, würde ich dann nach den Windwerten schauen und entscheiden, ob ich hochsteige oder vielleicht sogar direkt weiter Richtung Polster laufe. Dumm nur, dass am Fuß der Messnerin das Handy-Netz löchrig ist. Überhaupt ist die Netzabdeckung in diesem Gebiet verblüffend schlecht. Da wird es sicher viel Gemecker geben, dass das Live Tracking nicht gut funktioniert. Wie soll es auch ohne Daten?

Startplatz Messnerin nach Norden – und das ganze bei viiiieeel WInd!

Ich schaue also nicht ins Handy, sondern nach oben: die Wolken ziehen sehr schnell über die Messnerin. Hmmm… Ich entscheide mich, zum Polster weiterzugehen, zusammen mit zwei jungen Burschen aus Graz, Gregor Liebisch und Patrick Hutter. Am Parkplatz beim Grünen See – irgendwann mal zum „schönsten Ort Österreichs“ gekürt, in der Tat schon fast kitschig und entsprechend gut besucht – warten die Supporter von Patrick und Gregor. Sie verpflegen mich gleich mit. Bordairrace-Spirit. Wieder mal. Über uns beobachten wir die ersten Schirme in der Luft. Es sieht sportlich aus und nicht alle schaffen es weiterzufliegen. So landet der eine oder andere im Laming-Tal, wo auch wir hinaufsteigen, und geht ebenfalls zum Polster.

Blick von West nach Ost (über dem EIsenerzer Reichenstein)

Später Nachmittag – endlich in der Luft

Die Landschaft ist teils umwerfend schön. Schroffe Kalkfelsen wechseln mit steilen Grashängen, dunklen Nadelwäldern, Bächen und Seen. Es erinnert mich ein wenig an eine Modelleisenbahnlandschaft. Hier will ich nochmal hin, hier gefällt es mir. Am Polster ballert es immer noch gewaltig, aber es gibt einen sicheren Startplatz nach Norden auf einer steilen Wiese. Christoph Bolz haut sich als Erster raus, danach Tomy Hofbauer und Uli Plech mit dem Tandem, dann Gregor und ich. Patrick, der als letzter oben ankam, gibt derweil Starthilfe und hilft, die Schirme am Boden zu bändigen. Ihm gebührt ein Sonderpreis für seinen Sportsgeist. Danke Patrick!

Über dem Eisenerzer Erzberg

Nach wenigen Meter in der Luft öffnet sich der Blick auf das gigantische Loch des Erzbergs. Wahnsinn! Ich hatte schon Fotos gesehen, aber jetzt aus der Luft werden einem die Dimensionen des Tagebaus erst richtig bewusst. Über dem Gratrücken des Polster nach Nordwesten kann ich Höhe machen, so dass ich problemlos das Tal queren und vor dem Eisenerzer Reichenstein aufsoaren kann. Ab hier hangele ich mich an einem Grat entlang – bis ich schließlich auf einem Holzweg auf knapp 1600 Meter landen muss. Ich kalkuliere mit meinem GPS, dass ich rund 14 km nach Westen gut gemacht habe. Nicht viel, aber immerhin.

Auf dem Weg zum Eisenerzer Reichenstein (übrigens ein genialer Toplandeberg mit Hütte)

Vor mir sieht es aus, als würde ein breiter Fahrweg direkt weiter Richtung Zeiritzkampel führen. Und dort sollte ich wieder starten können. Aber der Blick mit Gegenlicht täuscht. Der Fahrweg endet bald und ich bin im wahrsten Sinne des Wortes „auf dem Holzweg“. Die in der GPS-Karte verzeichneten Wanderwege gibt es auch nicht mehr – obwohl ich eine Viertelstunde suchend durch den Bergwald mäandere. Ich schlage mich durchs Unterholz, kämpfe mich durch ein Holzschlaggebiet, versinke im Schmodder eines moorigen Hangs, verliere jede Menge Höhe – und muss dann wieder ebenso unwegsam aufsteigen.

Es ist jene Situation, in der ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns aufkommen. Man könnte jetzt auch in einem Biergarten sitzen… Aus dem gedachten Dreiviertelstündchen werden weit über zwei Stunden. Ich muss mich ranhalten, um überhaupt rechtzeitig vor Sonnenuntergang in die Luft zu kommen.

Ein kalter Wind fegt über die Berge und es fühlt sich gar nicht so golden an, wie die tief stehende Sonne verheißen mag. Weiter Till, weiter. Ich feuere mich an, als ich den steilen Grashang Richtung Zeiritzkampel hinaufkeuche. Oben wartet ein richtig schmaler, ausgesetzter Grat auf mich. Traumhaft schön, aber jetzt nur kein Fehltritt. Es wäre mein letzter. Auf der Westseite des Gipfels erreiche ich endlich die ersehnte Startwiese. Noch immer kachelt der Nordwestwind. Ich werfe meinen Schirm aus und freue mich über die breite, ideal geneigte Wiese. Mein Plan: ein wenig aufsoaren, so dass ich genug Höhe habe, um über den Grat hinweg ins Haupttal abgleiten zu können. Aber zu viel Zeit darf ich nicht vergeuden. Ich muss rechtzeitig unten landen…

Über dem Hinkareck kann ich etwa 80 oder 100 Meter überhöhen – genug, dass ich mich traue, nach Süden ins Lee der Kette zu fliegen. Wird mich jetzt ein Rotor durchquirlen? Mein MENTOR 6 Light schüttelt sich, wackelt und ich nutze den Steuerweg in seiner vollen Länge aus, aber er steht verlässlich über mir. Ich steige voll ins Gas – nur raus aus den sinkenden Luftmassen! Über der Talmitte bei Wald am Schoberpass wird es dann ruhiger. Entspannung.

Ich gleite westwärts, noch ein paar Kilometer gut machen. Schließlich ist die Höhe fast weg und ich muss mich für eine Wiese entscheiden. Nachdem die Entscheidung gefallen ist, bemerke ich in der Dämmerung einen Hochspannungsmasten. Also muss da auch ein zweiter stehen. Und eine Leitung hängen. Wo ist die Leitung? Wo ist sie? Nach ein paar bangen Augenblicken sehe ich dann doch alles und lande sicher. Puuuh…

Landung kurz vor Ende der Dämmerung

Wie weit reicht mein Ehrgeiz?

Johanna hat mich schon erspäht und kommt mit einem alkoholfreien Weißbier in der Hand zu mir herunter. Sie packt meinen Schirm, ich trinke Bier. Danke, danke, danke… Danach gibt es eine Kofferraum-Brotzeit. Während ich sitze, bemerke ich, dass ich wund im Schritt bin. Es brennt. Umziehen am Straßenrand. Im Licht meiner Stirnlampe schaue ich mir meinen Wolf an: es ist ein böser Wolf. Aber wird schon gehen. Ich will noch ein kleines Stück nach Westen gehen und dann Johanna auf einem Parkplatz in Wald am Schoberpass treffen, um im Auto ein wenig zu schlafen.

Als ich gegen halb zwei Uhr morgens das Auto erreiche, entschließe ich auszusteigen. Vielleicht könnte ich es bis ins Ziel schaffen, aber es wäre schmerzhaft und ich würde die nächsten zwei oder drei Wochen keinen Sport treiben. Also: kein falscher Ehrgeiz, schlau sein, aufgeben.

An der Spitze des Feldes wird derweil großartiger Sport geboten. Während wir „Normalos“ kaum 50 km weit kommen, fliegen Simon Oberrauner, Lars Budack, Heli Schrempf und Andi Viehböck fast 100 km bis ins Ennstal – und schaffen es am nächsten Tag doch wieder nach Aflenz. Diese Leistungen verdienen den allergrößten Respekt!

Die Sieger des Bordairrace Hochschwab 2020: 1. Simon Oberrauner, 2. Lars Budach. 3. Heli Schrempf

Ich lasse mich derweil von Johanna per Auto zum Ziel chauffieren – trotz allem zufrieden. Ich habe Spaß gehabt. Die Landschaft ist traumhaft, die Leute sind richtig nett. Es lief bis zum Aufgeben OK. Nur sollte ich beim nächsten Mal mit Hirschtalg meinen „Schritt verdichten“. Und bis dahin erinnert mein Gangbild auch nicht mehr so stark an John Wayne…

 


 

Weitere Informationen

www.facebook.com/Bordairrace/ – mit jeder Menge Videos und Bildern. Da kommt viel Atmo rüber.

www.bordairrace.com – die offizielle Seite

https://races.bordairrace.com/race/9 – Ergebnisse

http://bordairrace.live-tracking.com/2020/hochschwab – das Live Tracking als Aufzeichnung. Spannend für Insider.

 

Danke für die Bilder und die Clips an Johanna Heimpold, Willi Ludwig sowie Ulli PLech und Tomy Hofbauer. Hoffenltich habe ich niemanden vergessen.