2 Tage, 35° und 4.834 Meter

2 Tage, 35° und 4.834 Meter

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Für 23. und 24. Juni sind fliegbare Tage angesagt. Gar nicht mal so schlechte. Zwar Hitze und bei uns am Alpenrand recht stabil, aber inneralpin und vor allem im Süden recht thermisch und hochbasig.

Was tun? Daheimbleiben? Grente? Mit Aussichten auf Glockner, Stubaier und Dolomiten? Verlockend… aber erstens Autofahren und zweitens wahrscheinlich wieder richtig viel los. Genau des Gegenteil von dem, was ich suche…

Also nicht Autofahren. Besser von Reichenhall nach Südtirol fliegen. Dort Brotzeit, Sonnenuntergang, Sternenhimmel und am nächsten Tag wieder vor der Haustür landen. Guter Plan :-) Mal schaun, wie´s kommt…

 

Tag 1 – Donnerstag, 23. Juni, 7.30 Uhr

Zwiesel und Staufen fallen wegen der stabilen Schichtung als Startplätze flach. Und unsere “Alte Dame” auf den Predax – die älteste im Original erhaltene Seilbahn der Welt, die Predigtstuhlbahn – leidet gerade an Revision. Also zu Fuß – dank leichter Ausrüstung rund um mein Baby, meinen Mentor 4 light ;-) – kein Drama.

Ich geh’ einen mir neuen Weg auf den “Predax”, vorbei an vielen Gumpen und Wasserfällen, lichten und dichten Bergwäldern und traumhaften Almwiesen. Allerdings fast doppelt so weit wie all die andren Wege auf den Predigtstuhl, und so verschätz´ ich mich ordentlich und brauch’ statt eineinhalb mehr als zweieinhalb Stunden. Bisserl angeplättet bin ich dann endlich um viertel nach Zehn am Startplatz. Aber kein Grund zur Hektik: von Thermik keine Spur. Bis ich meine ganze Ausrüstung sortiert und verstaut habe, vergeht eh eine halbe Ewigkeit.

Blick in die Berchtesgadener Alpen mit Steinernem Meer, Watzmann und Co.
Wasser! Natur pur. Zwischen den Bäumen kommt das Hohe Brett zum Vorschein. Halbzeit unterm Karkopf. Das zweite Wiesenfleckerl links vom Gipfel wird mein Startplatz. Am Karkopf.

Bild 1 Blick in die Berchtesgadener Alpen mit Steinernem Meer, Watzmann und Co.  / Bild 2 Wasser!  / Bild 3 Natur pur. Zwischen den Bäumen kommt das Hohe Brett zum Vorschein. / Bild 4 Halbzeit unterm Karkopf. Das zweite Wiesenfleckerl links vom Gipfel wird mein Startplatz. / Bild 5 Am Karkopf.

 

Um viertel nach Elf geh’ ich in die Luft. Aber eher aus Sorge vor einsetzendem Talwind als vor thermischen Hochgefühlen. Ablösungen sind weiterhin eine rare Sache. Die erste halbe Stunde kann ich mich gerade mal so halten, dann wird´s bisserl thermischer und ich erreiche Minimalhöhe, um nach Norden zum Staufen zu queren. Genau dahin, wo ich eigentlich nicht hinwill. Um die aktive ED-R 142 nach Süden hin zu umfliegen, empfinde ich´s aber viel zu stabil und zäh.

Am Staufen angekommen drehen Peter und Helmut, am Zwiesel gestartet, in Richtung Landeplatz ab. Alles wie erwartet: Nix. Nur schwächstes Geblubbere, gerade genug, um irgendwie oben zu bleiben. Nach zwei Stunden Kampf schwimme ich in meinen Zwiebelschichten. Lohn der Mühe: traurige 2.200m Basishöhe und um 13.15 Uhr noch immer in Bad Reichenhall. Ab jetzt Vollgas, Südtirol ist immer noch drin.

Der weitere Flug soll aber nicht besser werden: viel Bayrischer Wind, niedrige Basis, zäheste Thermik und in meinen Flughöhen uferlose Hitze. So brate ich wie ein Grillhendl langsam vor mich hin, komm’ aber nicht richtig vorwärts. Nach 7,5 Stunden, 80 Kilometern und 11 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit habe ich in Hollersbach die Schnauze voll. Überall bläst’s wie die Sau aus Nord und ausgerechnet in Hollersbach versaut mir der Ostwind das Hochsoaren!? Geht´s noch?

Total platt und durchgeschwitzt besorgen mir die Pinzgauer Stanzen, Bremsen und Mücken den Rest und saugen die letzte Flüssigkeit aus meinem Körper. Das Zusammenpacken wird zur fiesen Tortur.

Ich bin endsfrustriert und schleppe mich zum Hollersbacher Badesee. Klamotten trocknen und bisserl runterkühlen. Bei schlechter Pizza und gutem Bier erwachen meine Lebensgeister wieder. Die Motivation für den morgigen Tag steigt.

Meinen ursprünglichen Plan behalte ich bei: nur trete ich morgen halt nicht gleich den Rückflug an, sondern stecke mitten drin im ersten Drittel meiner erhofften Reise. Ausgangspunkt soll der Wildkogel sein, allerdings via Seilbahn. Im Schlafsack überleg ich noch ein bisserl, wie ich schon am Vormittag über das Krimmler Achental über den Hauptkamm kommen soll. Für andere Ideen ist mein Kopf zu träge, der Tag war megaanstrengend, und auch von den letzten Arbeitswochen bin ich noch ziemlich angeschlagen. In einem Holzverschlag ganz in der Nähe des Badesees schlag ich mein Quartier auf. Ich bin hundemüde, die ersten Meter des morgigen Tages bereiten mir bis zum Einschlafen Kopfzerbrechen…

 

Pizza, Bier und Abkühlung am Hollersbacher Badesee. Trockenes Schlafplatzerl, die Wiesen im Tal sind schon wieder pitschnass.Von Reichenhall nach Hollersbach. Zefix – das war anders geplant…

Bild 1 Pizza, Bier und Abkühlung am Hollersbacher Badesee. / Bild 2 Trockenes Schlafplatzerl, die Wiesen im Tal sind schon wieder pitschnass. / Bild 3 Von Reichenhall nach Hollersbach. Zefix – das war anders geplant…

DHV XC, Tag 1

Doarama, 3D, Tag 1

 

Tag 2 – Freitag, 24. Juni, 6.30 Uhr

Die ersten Sonnenstrahlen leuchten durch die Ritzen meiner Schlafstätte. Ich fühle mich viel besser und marschiere mit meiner Ausrüstung nochmal zum Badesee. Ich habe null Eile, schwimme ein paar Runden, frühstücke und schwimme nochmal ein paar Runden. So könnte jeder Tag beginnen, auch wenn mir meine Mäuse bisserl abgehn…

Gegen 8 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Neukirchen. Nach wenigen Minuten nehmen mich zwei Mädels mit und fahren mich direkt vor die Wildkogelbahn, so dass ich bereits um viertel nach Neun am Plateau des Wildkogel ankomme. Wie? Beim Aussteigen bläst mir flotter Nordwind ins Gesicht. Die anderen Flieger gehen zum Südstart, ich mache mich auf den Weg zum Gipfel.

 

9.15 Uhr – Wildkogel9.15 Uhr – Wildkogel

Dort angekommen kann ich´s immer noch nicht fassen. Geschätze 15 bis 20km/h aus Nord! Alle paar Sekunden ziehen aber weitaus stärkere Böen durch. Erstmal zweites Frühstück – Speck, Ziegenkäse, Bauernbrot – und abwarten. Ändern kann ich jetzt eh nix an der Situation. Unten hauen sich seit einer halben Stunde reihenweise die Jungs raus. Ist nicht schön anzuschauen.

Mir pressiert´s nicht. Wahrscheinlich muss ich sowieso vor der Hauptkammquerung irgendwo parken und warten bis die Westseiten des Krimmler Achentals aktiv werden. Südseiten gibt´s keine Richtung Hauptkamm und die schneebeladenen Ostseiten am Talschluss des Obersulzbachtals werden keine Thermik abwerfen.

Der südliche Speichersee unterhalb des Wildkogel. Im Hintergrund die Nordseite des Pinzgau, bis zum Alpenhauptkamm hin.In der Bildmitte: der Eingang des Obersulzbachtals. Rückenwind am Wildkogel.

Bild 1 Der südliche Speichersee unterhalb des Wildkogel. Im Hintergrund die Nordseite des Pinzgau, bis zum Alpenhauptkamm hin. / Bild 2 In der Bildmitte: der Eingang des Obersulzbachtals. / Bild 3 Rückenwind am Wildkogel.

 

Gegen 11 Uhr wird der Nord schwächer, auch die Böen sind nicht mehr ganz so heftig und kommen in längeren Abständen rein. Ein unten gestarteter Pilot kann sich einigermaßen halten. Mein Startschuss!

 

11.30 Uhr – Besser spät als nie

Auch ich pack´s jetzt, starte nach Norden raus und flieg über den den kleinen Rücken schnell in die Südostseite. Der Einstieg ist ziemlich holprig und die Thermik wegen des Windes schwierig zu zentrieren, aber mein Kollege hat inzwischen gut über 3.000m. Das motiviert! Es geht nur langsam nach oben und so hab ich genug Zeit, mir das Wesentliche nochmal ins Hirn zu hämmern: „Flieg defensiv. Mach´ immer Höhe. Provozier´ keine low saves.“ Wenn die Basis hält, was sie verspricht, spielt Geschwindigkeit nur eine untergeordnete Rolle und vor der Querung nach Süden werd’ ich eh Geduld brauchen.

 

12 Uhr – Wechsel auf die Pinzgau-Nordseite12 Uhr – Wechsel auf die Pinzgau-Nordseite

Vom Wildkogel flieg ich noch ein paar Kilometer nach Westen und wechsele dann die Talseite. Der Nordwind macht´s recht einfach… ich verlier auf 7 Kilometern gerade mal 500 Höhenmeter und komme gut über Grat in der gleich thermischen Südostseite des Rinderkars an. Innerhalb der nächsten Stunde taste ich mich recht behutsam Richtung Schlieferspitze am Talschluss vor. Immer in Hab-Acht-Stellung, um ja nicht tief zu kommen und im engen Tal vom Nord gefressen zu werden. Je näher ich zum Hauptkamm komme, desto weniger bis gar nicht funktionieren die Ostseiten des Obersulzbachtals und ich suche und parke und suche und parke. Das Panorama ist überwältigend und ich habe ausreichend Zeit zu genießen: direkt vor der Nase Großvenediger, Großer Geiger, Simonyspitze, Dreiherrnspitze und unzählige weitere 3.000er.

Blick zurück zum Wildkogel und den Pinzgauer Spaziergang entlang. Im Sulzauer Rinderkar, Bildmitte, erhoffe ich mir Anschluss.
Links Obersulzbachtal mit Grossvenediger, rechts Krimmler Achental. Im Hintergrund der Alpenhauptkamm.Links Grossvenediger, rechts vor mir die Schlieferspitze (3.290m). Die Ostseiten sind schneebeladen, und können keine Thermik liefern. Ich breche meinen ersten Versuch für die Querung ab. Seebachsee. Ich fliege einige Kilometer zurück, suche nochmals Thermik, parke und warte bis die Westseiten aktiv werden.

Bild 1 Blick zurück zum Wildkogel und den Pinzgauer Spaziergang entlang. / Bild 2 Im Sulzauer Rinderkar, Bildmitte, erhoffe ich mir Anschluss. / Bild 3 Links Obersulzbachtal mit Großvenediger, rechts Krimmler Achental. Im Hintergrund der Alpenhauptkamm. / Bild 4 Links Großvenediger, rechts vor mir die Schlieferspitze (3.290m). Die Ostseiten sind schneebeladen, und können keine Thermik liefern. Ich breche meinen ersten Versuch für die Querung ab.  / Bild 5 Seebachsee. / Bild 6 Ich fliege einige Kilometer zurück, suche nochmals Thermik, parke und warte bis die Westseiten aktiv werden.

 

13.25 Uhr – Hauptkammquerung ins Ahrntal13.25 Uhr – Hauptkammquerung ins Ahrntal

Gegen 13.30 Uhr finde ich dann endlich an den Westhängen des Krimmler Achentals Thermik und gehe die Querung über die Birnlücke ins Ahrntal an. Obwohl ich bei etwa 15 km/h Nord mit 3.300m wegfliege, bin ich mir nicht sicher, ob sich´s ausgeht.

Es geht sich aus. Über der Birnlücke ist die Freude aber nur kurz.

Talschluss im Krimmler Achental und Anflug Birnlücke. Im Hintergrund Dreiherrnspitze (3.499m) und weiter rechts Rötspitze (3.496m). Grosser Geiger (3.460m), Simonyspitzen (3.473m) und Dreiherrnspitze. Blick über die Birnlücke ins Ahrntal. Fantastisches Wolkenbild Richtung Süden. Am Ende des Ahrntal kann man Sand in Taufers erahnen.

Bild 1 Talschluss im Krimmler Achental und Anflug Birnlücke (2.665m). Im Hintergrund Dreiherrnspitze (3.499m) und weiter rechts Rötspitze (3.496m). / Bild 2 Großer Geiger (3.460m), Simonyspitzen (3.473m) und Dreiherrnspitze. / Bild 3 Blick über die Birnlücke ins Ahrntal. / Bild 4 Fantastisches Wolkenbild Richtung Süden. Am Ende des Ahrntal kann man Sand in Taufers erahnen.

 

13.40 Uhr – Lohn der Mühen13.40 Uhr – Lohn der Mühen

Jetzt erstmal konzentrieren: in bin unter Grat, der Wind dreht auf Nordost. Die Südseite ist überspült, die Thermik zerissen und nicht einfach zu zentrieren. Nach wenigen Kilometern bin ich aber wieder auf 3.600m. Ich blicke nochmal zurück, zum “Durchschlupf” an der Birnlücke und lasse mich von der Bergwelt rund ums Zillergründl faszinieren. Mit dem Wind lasse ich mich noch ein Stück Richtung Südwest treiben. Am Rauchkofel bei Prettau mach’ ich nochmal Basis – und spätestens von hier an sollen sich die Mühen des gestrigen Tages ins Gegenteil verkehren…

Die Nordseite: Unter mir der Eissee, links davon der Speicher Zillergründl.
Nochmal ein letzer Blick zurück zur Birnlücke. Rundherum ein gewaltiges Panorama. Hoch über dem Ahrntal auf dem Weg zur Basis. Rechts der Rauchkofel (3.251m). Über der Großbacher Alpe. Bereits nach der Talquerung auf die Nordseite des Ahrntals. Blick Richtung Osten: Talschluss Ahrntal und Birnlücke.

Bild 1 Die Nordseite: Unter mir der Eissee, links davon der Speicher Zillergründl.  / Bild 2 Nochmal ein letzer Blick zurück zur Birnlücke. Rundherum ein gewaltiges Panorama.  / Bild 3 Hoch über dem Ahrntal auf dem Weg zur Basis. Rechts der Rauchkofel (3.251m).  / Bild 4 Über der Großbacher Alpe.  / Bild 5 Bereits nach der Talquerung auf die Nordseite des Ahrntals. Blick Richtung Osten: Talschluss Ahrntal und Birnlücke.

 

14.15 Uhr – Beste Aussichten14.15 Uhr – Beste Aussichten

Merklich nervös quere ich das Ahrntal auf die Nordseite. Auch hier war ich noch nie und die Berge sind massiv. Meine Anspannung ist jedoch völlig unbegründet: die westlich ausgerichten Rippen liefern starke Thermik und schnell bin ich wieder auf 3.600m. Der Ausblick ist überwältigend. Vor mir liegt bald wieder bekanntes Gelände. Endlich keine Blauthermik – im Gegenteil, viele Wolkenstraßen weisen mir ab jetzt den Weg.
Weiter geht´s dem Gratverlauf entlang zum Gr. Moosstock, direkt über Ahornach. Ich verliere auf die paar Kilometer so gut wie keine Höhe, kann ganz entspannt Brotzeit machen und pack einen Apfel und einen Müsliriegel aus. Am Gr. Moosstock angekommen schießt wie aus dem Nichts mein Mentor weit hinter mich. Mahlzeit!

Fantastische Eindrücke: vor mir erstreckt sich die Riesenfernergruppe. Das Gelände wird mir vertrauter. Rechts unten der Ort Rein. Das Wolkenbild sieht grossartig aus.

Bild Fantastische Eindrücke: vor mir erstreckt sich die Riesenfernergruppe. Das Gelände wird mir vertrauter. Rechts unten der Ort Rein. Das Wolkenbild sieht großartig aus.

 

14.30 Uhr – Ungeahnte Höhen14.30 Uhr – Ungeahnte Höhen

Über mir bildet sich ein kleiner Wolkenfetzen, der sich in Windeseile entwickelt. Noch ahne ich nicht, was mich in den nächsten Minuten erwartet: in stärkstem und dennoch butterweichem Steigen ziehen die 100-Meter Schritte wie auf einer Stoppuhr über meinen Bildschirm:

3.700m … 3.800m … 3.900m … 4.000m … Wahnsinn! Und es steigt weiter mit über 6 Metern integriert. 4.400m … 4.500m … 4.600m … 4.700m. Bei 4.800m bin ich noch immer nicht an der Basis, das Steigen nimmt aber deutlich ab.

Die vielen Dreitausender ringsum wirken aus dieser Höhe wie kleine Voralpenhügel. Alles ist total bizarr… mit den unter mir liegenden Tälern, Orten, Flüssen und Strassen erscheint die Landschaft unter mir fast schon wie eine 3D-Reliefkarte vom Rother-Verlag. Ich bin völligst fassungslos und fasziniert von den Eindrücken.

Gestern um diese Uhrzeit lag ich triefnass in meinem Gurtzeug und kämpfte in Lofer auf 1.300 Meter ums obenbleiben. Heute, 24 Stunden später, befinde ich mich 3.500 Meter höher und bin in Italien… danke Leben!

 

Sprachlos – 4.834 Meter :- )

Sprachlos: 4.834 Meter. Ohne Worte. Die vielen Dreitausender ringsum wirken aus dieser Höhe wie kleine Voralpenhügel, die Landschaft unter mir fast schon wie eine 3D-Reliefkarte vom Rother-Verlag.

Bild 1 Sprachlos: 4.834 Meter. / Bild 2 Ohne Worte überm Großen Moosstock (3.059m). / Bild 3 Die vielen Dreitausender ringsum wirken aus dieser Höhe wie kleine Voralpenhügel, die Landschaft unter mir fast schon wie eine 3D-Reliefkarte vom Rother-Verlag.

 

14.40 Uhr – Ausfallerscheinungen! ;-)

Mit meiner sagenhaften Höhe hätte ich problemlos direkt zur Riesenfernergruppe wechseln können. Möglicherweise machte mir die Höhenluft aber doch ein bisserl zu schaffen: einige Minuten keimt die Idee in mir auf, weiter in die Tofana zu fliegen. Bedenken wegen Uhrzeit und Nordseite hab ich voerst keine.

Westlich der Grente, auf “nur noch” 3.800m, erwache ich aus meinen Unsterblichkeitsphantasien und biege scharf links ab. Den Weg zum Großglockner im Visier.

 

14.50 Uhr – Bekanntes Terrain14.50 Uhr – Bekanntes Terrain

Die nächsten eineinhalb Stunden verbinge ich mit Staunen und Wundern (und Kamera-Akku wechseln) in gut bekanntem Gelände – aber ausschließlich 1.000m höher als gewohnt.

Vor wenigen Minuten bin ich noch über die Grente geflogen, jetzt bringt mich die Riesenfernergruppe nochmal auf über 4.500m und so drehe ich noch ein paar zusätzliche Runden über Schneebigen Nock sowie Hochgall und Wildgall und sauge die Eindrücke dieser phantastischen Bergwelt in mir auf. Dem Wolkenbild nach zu urteilen wird das gesamte Defreggental ein durchwegs entspanntes Erlebnis werden. Ich mache mich auf zum Stallersattel, zurück nach Österreich.

Der Stallersattel hatte mir bei früheren Flügen oftmals stark an den Nerven gezehrt. Mit einer Überflughöhe von 4.200 Metern liegt er nun ganz still und friedlich fast 2.000m unter mir. Kaum zu glauben.

Während dessen bringt mich meine Kamera fast um den Verstand: Akku leer, Ersatzakku bereit, aber ich bekomme den verdammten Verschluss nicht auf. Dieses Spiel dauert fast eine Stunde an und ich bin kurz davor, meine Actionpro in die ewigen Jagdgründe des Defreggentals zu schicken.

 

16.40 Uhr - Grossglockner in Griffweite16.40 Uhr – Großglockner in Griffweite

Die weiteren 30 Kilometer durchs Defreggental erlauben mir eine unglaubliche Reisehöhe an der 4.000 Meter-Grenze. Ich fliege fast nur gerade aus und kurble keine Bärte unter 6m/s. Was für ein Luxus. Einzigst am Rotenkogel zwischen Matrei und Kals sinke ich kurzzeitig unter 3.000m, hab damit aber immer noch eine komfortable Höhe. Südlich von mir köcheln nun die ersten Überentwicklungen vor sich hin und feine Regenschlieren in den Dolomiten und im Antholzer Tal sind aus der Ferne gut zu erkennen. Auch in Lienz braut sich was zusammen. Meine Flugrichtung hingegen sieht sehr ruhig aus, hoffentlich nicht zu ruhig.

Reisehöhe im Defreggental: über 30 Kilometer an der 4.000m-Grenze – was für ein Luxus. Weiter südlich brodelt es vor sich hin. Ganz hinten in der Bildmitte: die Riesenfernergruppe.Anflug auf den Rotenkogel oberhalb Kals – den Anblick kannte ich bisher nur aus völlig anderer Perspektive. Im Hintergrund blitzt schon der Grossglockner hervor. Links unten: Matrei.

Bild 1 Reisehöhe im Defreggental: über 30 Kilometer an der 4.000m-Grenze – was für ein Luxus. Weiter südlich brodelt es vor sich hin. Ganz hinten in der Bildmitte: die Riesenfernergruppe. / Bild 2 Anflug auf den Rotenkogel oberhalb Kals – den Anblick kannte ich bisher nur aus völlig anderer Perspektive. Im Hintergrund blitzt schon der Großglockner hervor. Links unten: Matrei.

 

16.40 Uhr – Majestätisch16.40 Uhr – Majestätisch

Völlig überraschend schiebts nun sogar leicht von hinten und nicht unweit der Stüdlhütte bringt mich eine leichte Thermik nochmals auf 4.200 Meter. Was für ein Anblick. Adlersruhe und Großglockner direkt vor mir, das Ködnitzkees weit unter mir. Erinnerungen werden wach – vor fast 20 Jahren erkämpften wir uns im Oktober bei Eis und Schnee den Glockner über den Stüdlgrat. Heute gelingt alles ganz spielerisch. Unter mir dreht plötzlich ein Drachen, neben ein paar wenigen Segelfliegern die erste Begegnung seit dem Wildkogel.

Liebend gerne wäre ich noch zum Glocknergipfel rübergeflogen, aber ein wenig drückt nun doch die Zeit. Nach Saalfelden zu kommen wäre phantastisch, mehr Chancen räum ich den späten Stunden auf der scheinbar immer noch stabilen Nordseite nicht ein. Und so mach ich mich auf zur zweiten Hauptkammquerung des Tages, östlich des Großglockners, Richtung Fuscher Törl.

Von Minute zu Minute komme ich meinem Traum ein Stück näher. Hinter mir: links die Schobergruppe, in der Mitte unten Kals und rechts das lange Defreggental. Der Stüdlgrat (Bildmitte) zieht steil zum Großglockner (3.798m) rauf. Hinter dem Grat liegt die Pasterze, rechts Heiligenblut. Im Hintergrund erstreckt sich die Bergwelt vom Gr. Wiesbachhorn im Westen, über Goldbergruppe bis zur Ankogelgruppe im Osten. Mein nächstes Ziel: der Spielmann (3.027m), leicht rechts der Bildmitte. Mir wird immer bewußter: ich kann meinen zuhause gestrickten Plan zwar vermutlich nicht ganz umsetzen, aber auf die Nordseite schaff´ ich es ganz sicher zurück. So kann ich in der Bergwelt der Glocknergruppe noch ein paar Momente die Ruhe und Stille genießen…
Bild 1 Von Minute zu Minute komme ich meinem Traum ein Stück näher. / Bild 2 Hinter mir: links die Schobergruppe, in der Mitte unten Kals und rechts das lange Defreggental. / Bild 3 Der Stüdlgrat (Bildmitte) zieht steil zum Großglockner (3.798m) rauf.  / Bild 4 Hinter dem Grat liegt die Pasterze, rechts Heiligenblut. Im Hintergrund erstreckt sich die Bergwelt vom Gr. Wiesbachhorn im Westen, über Goldbergruppe bis zur Ankogelgruppe im Osten. Mein nächstes Ziel: der Spielmann (3.027m), leicht rechts der Bildmitte. / Bild 5 Mir wird immer bewußter: ich kann meinen zuhause gestrickten Plan zwar vermutlich nicht ganz umsetzen, aber auf die Nordseite schaff´ ich es ganz sicher zurück. So kann ich in der Bergwelt der Glocknergruppe noch ein paar Momente die Ruhe und Stille genießen…

 

16.50 Uhr – Hauptkammquerung zurück auf die Nordseite16.50 Uhr – Hauptkammquerung zurück auf die Nordseite

Hoch über dem Margaritzenstausee überkommen mich unglaubliche Glücksgefühle. Nur noch zwei bis drei Kilometer und ich bin zurück auf der Nordseite. Mit fast 3.800m sollte dies leicht zu bewerkstelligen sein. Westlich von mir bietet sich ein unendlich schönes Naturschauspiel: der Pasterzengletscher, eingerahmt von Großglockner und Fuscher Karkopf. Ich empfinde eine grosse Dankbarkeit, all dies erleben, sehen und spüren zu dürfen.

Großglockner (3.798m), Johannisberg (3.453m), Hohe Riffl (3.336m), Bärenkopf (3.396m), Klockerin (3.422m), Gr. Wiesbachhorn (3.564m) und viele weitere Dreitausender. Pasterze, Gamsgrube und Fuscher Karkopf (3.331m).Die Pasterze: mit etwas mehr als 8 Kilometer Länge der größte Gletscher Österreichs und der längste der Ostalpen. Leider zieht sie sich immer weiter zurück.

Bild 1 Großglockner (3.798m), Johannisberg (3.453m), Hohe Riffl (3.336m), Bärenkopf (3.396m), Klockerin (3.422m), Gr. Wiesbachhorn (3.564m) und viele weitere Dreitausender. / Bild 2 Pasterze, Gamsgrube und Fuscher Karkopf (3.331m). / Bild 3 Die Pasterze: mit etwas mehr als 8 Kilometer Länge der größte Gletscher Österreichs und der längste der Ostalpen. Leider zieht sie sich immer weiter zurück.

 

Westlich des Ferleitentals wird´s aber nicht minder beeindruckend: Klockerin, Großes Wiesbachhorn, Hoher Tenn und viele weitere formvollendete Berge mit einer Höhe von 3.000 bis 3.500 Meter in unmittelbarer Nähe. Nach Osten erhebt sich die Goldberggruppe mit Sonnblick und Co. und gleich dahinter die Ankogelgruppe. Und auch Richtung Norden werden die Berge immer deutlicher: Leoganger Steinberge, Steinernes Meer, Tennengebirge, Dachstein und wie sie alle heissen.

Ich fliege vorbei an Racherin und Spielmann, zum zweiten Mal an diesem Tag über den Alpenhauptkamm. Meine Freude ist schwer in Worte zu fassen. Weiter geht´s in Richtung Fuscher Törl, wo ich die “Spielzeugautos” auf der Glocknerstrasse verfolge und entlang des Seidenwinkeltals Richtung Rauris gleite.

Ich verlasse die grossartige Arena rund um den Grossglockner und überquere, vorbei an Racherin (3.092m) und Spielmann (3.027m), zum zweiten Mal an diesem Tag den Alpenhauptkamm.Der Grat hinter mir trennt die Südseite von der Nordseite.
Blick nach Osten zu Goldberg- und Ankogelgruppe. Hinter mir die ersten Überentwicklungen in der Schobergruppe. Happy! Das letzte Mal über 4.000 Meter geht´s nun schön langsam dem Ende entgegen.

Bild 1 Ich verlasse die grossartige Arena rund um den Großglockner und überquere, vorbei an Racherin (3.092m) und Spielmann (3.027m), zum zweiten Mal an diesem Tag den Alpenhauptkamm.  / Bild 2 Der Grat hinter mir trennt die Südseite von der Nordseite. / Bild 3 Blick nach Osten zu Goldberg- und Ankogelgruppe. Hinter mir die ersten Überentwicklungen in der Schobergruppe. / Bild 4 Happy! Das letzte Mal über 4.000 Meter geht´s nun schön langsam dem Ende entgegen.

 

17.50 Uhr – Letzte Thermik17.50 Uhr – Letzte Thermik

Am Blaukogel bei Rauris erwartet mich die letzte Thermik meines Tages und trägt mich nochmals auf 3.600 Meter. In Flugrichtung ist mittlerweise alles blau und der Weiterweg sieht nicht vielversprechend aus. Am Hochkönig und Steinernen Meer stehen noch zwei kleine Wolken, dazwischen gähnende Leere. Die Höhe sollte aber auf jeden Fall ausreichen, um östlich des Hundstein bisserl Luft zum Suchen zu haben, zumindest aber um bis nach Bachwinkl oder Hinterthal abgleiten zu können.

Zwischen Ferleitental und Seidenwinkeltal fliege ich Richtung Rauris und schaffe es gerade noch so am Hundstein vorbei nach Maria Alm bei Saalfelden. Einer meiner schönsten Flugtage neigt sich dem Ende. Im Hintergrund das Steinerne Meer und der Hochkönig. Dahinter bin ich zuhause.

Bild 1 Zwischen Ferleitental und Seidenwinkeltal fliege ich Richtung Rauris und schaffe es gerade noch so am Hundstein vorbei nach Maria Alm bei Saalfelden. Einer meiner schönsten Flugtage neigt sich dem Ende. Im Hintergrund das Steinerne Meer und der Hochkönig. Dahinter bin ich zuhause.

 

Während der Querung des Pinzgau sinke ich langsam in den Bayerischen Wind. Thermisch ist auf der Pinzgau Südseite leider nichts mehr auszumachen und so quäl ich mich gegen den immer stärker werdenden Nordwind mühsam gerade noch so am Hundstein vorbei. Die letzte Thermik und damit der Anschluss zum Steinernen Meer bleiben mir aber verwehrt. Im Talwind soarend kann ich mich aber noch bis Maria Alm retten, wo ich dann mehr als happy um Viertel vor Sieben nach 155 Kilometern lande.

Schnell zusammengepackt geh ich die 10 Meter zu Straße, halte meine Daumen raus und die gerade vorbeifahrenden Jungs, zwei Kletterer, hauen sofort die Bremse rein. Im Kreisverkehr in Lofer schmeißen sie mich raus, und der Sattelschlepper direkt hinter uns bringt mich zurück nach Bad Reichenhall!?! Heute waren höhere Mächte am Werk als gestern, selbst der Bunny Stopper bleibt unbenutzt :-)

Um Viertel nach Acht, 36 Stunden später, sitze ich bei einem kühlen Bier wieder daheim auf der Terrasse, schau über unser Pankrazkircherl in den Sonnenuntergang und denk an Wolfgang Ambros: “Hinter dir geht´s obwärts, vor dir steil bergauf…”

 

DHV XC, Tag 2

Doarama, 3D, Tag 2

www.christian-lobensommer.de

 

Meine Reiseroute: Bad Reichenhall - Hollersbach - Wildkogel - Sand in Taufers - Grossglockner - Maria Alm - Bad Reichenhall. Was für ein Erlebnis!