Ein Jahr zum Vergessen – aber nicht für mich

Ein Jahr zum Vergessen – aber nicht für mich

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Hi dear mates! I’m soon gonna publish a post in english, yes I will, scary isn’t it. So here is one in german. Just use a translator – it will pay-off I guarantee:-)

Chrigel und ich am Jubiläumstag. Karfreitag vor 30 Jahren stiegen wir zum ersten Mal in ein Gurtzeug.

Dieses Jahr feierten meine Brüder Urs und Chrigel mit mir unser 30-jähriges Gleitschirm-Jubiläum! Irre. Mehr als das halbe Leben Woche für Woche in der Luft. Umso spezieller, da das Gleitschirmfliegen selber nicht viel älter ist als diese 30 Jahre. Wir haben Pionierarbeit geleistet, oder Pioniervergnügen, wie man will. Die Freude am Neuen ist immer noch da. Wo könnte ich mal fliegen, wo ich und vielleicht auch andere noch nicht waren? Ich begrüsse jeden neuen Schirm, den ich fliegen darf, mit Begeisterung.

Was für herrliche Flieger, die wir da bekommen. Man stelle sich mal vor. Vor zwanzig Jahren sind wir heisseste Kisten geflogen und haben sie auch mal am Notschirm über uns flattern sehen. Heute fliegen wir Schirme, die uns mit ihrer Leistung in ganz andere Sphären vorstossen lassen – und das „heiss“ ist gegessen. Beherrschbar, wunderbar zu händeln und mit viel Nachsicht, wenn mal was nicht oder eben klappt.

Ich habe gestern zufällig einen Text gefunden – noch nirgends veröffentlicht, den ich vor ziemlich genau einem Jahr hier am warmen Ofen in Kanada geschrieben habe. Ich stelle mit Freude fest, dass ich da von Vorsätzen schrieb, die ich dieses Jahr umgesetzt habe. Ich stelle den Text weiter unten rein. Ich hoffe, ihr habt Freude daran.

Ranglistenmässig war dieses Jahr für mich eine Katastrophe. Einige meiner guten Freunde sind auch in der breiten Masse gelandet, während wir etliche Jahre lang konstant vorne mitflogen. Das lag zum Teil am schlechten Sommer. Die Streckenfliegerei in den Schweizer Alpen fand heuer bis im Mai statt. Wer bis dahin zur rechten Zeit am rechten Ort war, konnte gewinnen, so unser Pilot des Jahres Toni Brügger mit seienm PHANTOM.

Ich verpasste namentlich den 29. April, zwei oder drei Tage schon vorher. Ich kann mich nicht erinnern warum. Im Mai war ich in Übersee am arbeiten. Zurück am 1. August hoffte ich – und mit mir meine Freunde – auf die regelmässig guten Spätsommertage. Die kamen nicht. Wer auf gut Glück nach Fiesch fuhr, konnte den einen oder anderen knappen 200er fliegen, eine richtig gute Lage gab es nicht mehr. Ich will die Leistung meiner Freunde und die von mir hier überhaupt nicht kritisieren. Einzelne Flüge waren gar nicht schlecht oder sogar aussergewöhnlich gut und interessant. Guckt nur Kurts Pilatusflug. Es ist einfach eine Feststellung, dass unsere grossen Jahresernten heuer keine Fortsetzung sahen.

Am 8. April mit Freunden fliegen gegangen – Ziel schon erreicht.

Also bin ich im ungewohnten Mittelfeld gelandet. Obwohl ich das nicht zur Gewohnheit machen will, fühle ich mich gar nicht mal so unwohl da. Der 8. April kann das etwas erklären. An diesem Tag, einem Samstag oder Sonntag, fuhr ich wie üblich mit meinen Freunden aus dem Dorf zum Startplatz an unserem Berg. Das war einer meiner Vorsätze, von denen ich vorhin schrieb. Mehr mit Freunden fliegen. Kurt Fischer und Beni Friedli fuhren nach Fiesch. Auch Freunde. Warum war ich nicht dabei? Ich weiss nicht, ob wir vorher kommunizierten. Möglich. Ich weiss aber noch, dass wir zuhause einen wunderbaren Flug, einen herrlichen, stressfreien Tag erlebten. Auch mit Freunden. Also Ziel Nummer 1 erreicht.

Die Flugmeldungen vom 8. April aus Fiesch haben mich nicht erschüttert – wohl aber die aus dem Tessin. Dort hat die Musik gespielt. Es scheint, wir haben es dieses Jahr einfach nicht auf die Reihe gebracht, mal zusammen durch das Stauloch zu fahren, denn dort – jenseits des Staulochs – ist dieses Jahr richtig was los gewesen. Ich habe rückblickend etwas ein schlechtes Gewissen, denn die Tessiner haben sicher irgendwann mal mit mir gerechnet. Ein fröhliches ciao am Startplatz, das habe ich vermisst heuer. Sabina und Maria Grazia haben den guten Frühling ausgiebig genossen, wie ihre Flugbücher zeigen.

Im April spielt die Musik im Tessin – Sabina Stegmann am 3. April am Gambarogno auf dem Heimflug. Foto Sabina Stegmann

Immerhin kann ich, was den Tessin betrifft, geistig eine gewisse Ernte einfahren. Ich habe letztes Jahr, also 2016, die Route über das Val Blenio als erster Gleitschirmpilot zu einem 200-er FAI Dreieck schliessen können, nach etlichen Überflügen und Startversuchen in diesem ausgesprochen schönen Teil des Tessins. Christian Thio hat als erster Tessiner nun dieses Jahr dieselbe Route ebenfalls erfolgreich geflogen und das gleich zwei Mal. Peter Kleimann und Pascal Bissig haben am 5. Mai ebenfalls das Val Blenio genutzt, um ein neues Rekord-Dreieck zu fliegen. Mein Bienenfleiss im Val Blenio und einige Publikationen darüber haben, stelle ich mir vor, etwas zur Popularität des Val Blenios in der XC-Gemeinde beigetragen.

Jahrelange Genuss-Arbeit im Val Blenio zahlt sich aus – die Passage mit dem Pfeil erweist sich als überaus lohnend auf FAI-Dreiecken. Foto Kurt Fischer

Ich plaudere und plaudere. Ich schreibe nur kurz von meinem schönsten Flug des Jahres. Das hat auch einen kleinen Hintergrund: Ich schreibe einen Bericht im Swiss Glider, der nächstes Jahr erscheinen wird. Darum will ich hier nicht viel verraten.

29.8.2017 – Berner Oberland

Die Saison war schon fast gelaufen. An diesem Tag ende August machte eine deutliche Nordwestwind-Prognose die Hoffnungen auf einen richtig weiten Flug zunichte. Am Ende des Tages gab es denn in der Schweizer Rangliste wenig zu bewundern – auf dem vierten Platz des Tages war mein Flug von Grindelwald zu finden, unspektakuläre 140+ flaches Dreieck.

Was mir diesen Flug so unvergleichlich und schön in die Erinnerung gemeisselt hat, ist die Reihe von Hochalpengipfeln, die ich befliegen konnte, mit geringem Risiko und mit Hilfe des Nordwestwindes, den wir auf Strecke sonst nicht so gerne sehen. Es war recht eigentlich ein Ritt auf dem Nordwestwind. Am schönsten ist dies zu sehen am Altels, einem Berg, der sonst auf Strecke kaum je ins Spiel kommt. Heute schon. Der Altels ist einer der Gipfel zwischen Leukerbad und Kandersteg, oder dem Lötschental und Kandersteg, wie man es sehen will.

Wenn man den Berg mal auf seiner Nordflanke befliegt, dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Eine solche ebenmässige ausgedehnte Kalkplattenflucht in diesem seltsam flachen Winkel sieht man nicht so oft in den Alpen. Wenn man es genau nehmen will, darf man hier gar nicht fliegen. Jeder Notschirmabstieg würde zum Desaster. Diese Kalkplatte würde dich einfangen mit deinem Notschirm, vielleicht sogar mit dem Steuerbaren, und dann hättest du die Rutschpartie deines Lebens vor dir.

Ich habe nicht den leisesten Zweifel, dass ich heimfliege heute. Noch selten hatte ich so sicher das Gefühl, am richtigen Ort zu sein und das Richtige zu tun – mit dem richtigen Schirm dazu, dem Mentor 5, den ich erst seit ein paar Wochen habe. Die Wolken zeigen den Nordwestwind an. Der Altels wartet mit seiner Nordwestflanke auf mich und wird mir zuverlässig Höhe schenken – wenn auch ohne Notschirm.

Ich durfte heute hier fliegen. Die Thermik war anständig, sie löste sich ja auch in bescheidenen Sonnenfeldern ab, Nordthermik mit einem Schuss Nordwestwind. Ich flog auf der Nordseite der Berge, fast den ganzen Tag lang. Ich fühlte mich dabei sehr, sehr gut. Ich überflog die Blüemlisalp, einen wunderbaren Gipfel, ich überhöhte den Jungfrau-Gipfel. Ich wagte nicht, die Jungfrau direkt zu überfliegen, ebensowenig den Mönch und den Eiger. Der Nordwest war so stark, und Thermik spielte kräftig mit, dass ich nicht wagte, dort zu soaren. Füsse nicht im Pedal flog ich zeitweise mit über 70 km/h entlang der berühmten Berner Gipfel, was für ein Vergnügen – auf der sicheren Seite der Gipfel, im Luv.

Ein Endanflug über 30 Kilometer ins heimatliche Dorf beendete den Traum, weckte mich aber irgendwie nicht richtig auf. Ich schwebte noch lange auf Wolke 7. Einziger Makel an der Sache: ich war wieder mal allein unterwegs gewesen. Nächstes Mal abmachen, Freunde! Das war der Tag des Genusses!

Groundcontrol to Major Tom… noch ganz high – Blick zurück in die Hochalpen – unscheinbare 140 Kilometer. Aber Freude wie vor 30 Jahren.

So, jetzt überlasse ich euch gern meine Betrachtungen, die schon ein Jahr alt sind, aber doch irgendwie schön, hoffe ich. Sie handeln vor allem von meinem wunderbaren Tessiner-Dreieck, auf das ich noch immer stolz bin wie ein Vater.

23. November 2016, Cape North, Kanada

Ich wäre gern ein Musiker geworden, vielleicht auch ein Filmemacher, wenigstens ein Filmkritiker. Ich verstehe etwas vom Lesen und wäre gern Lektor geworden oder ein Buchhändler. Ich kann das eine oder andere schreiben, und wäre beinahe Journalist geworden. Ich sehe, dass es Leute braucht, die solches tun und gut sind in ihrem Job. Aber all dies ist an mir vorbei gegangen. So geht es vielen. Und vielen geht es so wie mir: Sie haben eine Leidenschaft, die sie neben ihren täglichen Pflichten pflegen. Was mich betrifft, kann ich sagen, meine Leidenschaft füllt mich aus wie ein Fuss einen Socken. Ich bin Streckenflieger. Seit vielen Jahren, seit Jahrzehnten. Jedes Jahr fliege ich die alten Strecken, jedes Jahr finde ich neue. Und ich bin nicht ganz ohne Ehrgeiz unterwegs, da oben, über den Bergen.

Ich sitze hier, am Ofen und ich denke über meine Flüge nach, die mir das Jahr gebracht hat. Es war ein gutes Jahr, ein aussergewöhnlich gutes Jahr. Es gibt Einschränkungen. Ich habe weniger Freunde gesehen, weniger oft, als andere Jahre. Ich habe sie vermisst und vermisse sie noch. Ich will nächstes Jahr mehr mit ihnen zusammen fliegen. Ich war lange nicht da. Ich musste in Übersee arbeiten.

Blenden wir zurück ins 2016. Ein gutes Jahr für mich. Schon früh im April herrliche Flüge, hier mit Rolf von Arx ein Vergleichsflug mit dem Phantom-Proto in Interlaken.

Ich war möglicherweise nur dreimal im Tessin. Und jedesmal gelangen mir wunderbare Flüge. Ich war nur ein- oder zweimal im Wallis. Ich genoss die Gesellschaft all der Freunde dort. Ein herrlicher Flug gelang mir von Grindelwald, das selten für weite Flüge genutzt wird. Ich habe an diesem Tag die Gesellschaft der Freunde verschmäht. Ich kämpfte mit einer üblen Verstimmung, und mir graute vor der ernsthaften Startroutine am Niesen, wo die Freunde hinfuhren.

Nachträglich fand ich es ziemlich dumm, nicht mit an den Niesen gefahren zu sein. Aber der Flug von Grindelwald ins Wallis und zurück nach Grindelwald war ein herrliches Erlebnis und ein grosser Erfolg für mich. Ich hatte schon mehrmals versucht, von zuhause aus eine grosse Aufgabe zu lösen und sicher zurück zu fliegen. Grindelwald gehört zu meiner näheren Heimat. Mein FAI-Dreieck ist nun der Site-Rekord dieses traditionsreichen Fluggebietes.

Auffahrt: Skeptischer Blick von Urs Haari in die Tannenwälder – der Föhn bläst. Unsere ambitionierte Truppe muss später zufuss wieder runter.

Auffahrt war eine seltsame Sache. Wir waren eine grosse Gruppe, die einen grossen Flug unternehmen wollte. Der Föhn liess uns nicht abheben. Der Föhn liess meinen zweiten Versuch an Auffahrt vorzeitig enden, wenn auch nach einer sehr schönen Runde an den Alpennordrand. Mit diesem Flug konnte ich einige Seiten im Swiss Glider füllen – die Angelegenheit war sehr interessant, wettermässig und taktisch.

28. April 2016

Der grösste Erfolg für mich, aber auch einer der eindrücklichsten Flüge des Jahres war der Rekordflug im Tessin. Der Rekord wurde ohne grosses Federlesen zwei Tage von den Enzos zerzaust, der EN-B Rekord hielt bis dieses Jahr.

Es sah alles andere als gut aus, als wir am Morgen in Bellinzona ankamen. Ich traf mich mit Adi und Frank in einem Restaurant am Bahnhof. Draussen schneite es und kein Fleck blauer Himmel war zu sehen. Andere brachen die Anfahrt schon vor dem Gotthard ab, als sie erfuhren, wie es um das Wetter stand. Philip Steinger fuhr sogar von Bellinzona wieder heim, also quasi vom Startplatz, als er die Wolkendecke sah, aus der es leise schneite. Mann, was muss sich der geärgert haben…

Wir fuhren rauf auf Mornera, und kehrten in das Restaurant ein, wo ein Holzfeuer brannte. Draussen schneite es. Schon bald elf Uhr. Im Süden sah man etwas Sonne.

Wir verpassten die erste halbe Stunde Thermik, die sofort einsetzte, als die ersten Sonnenstrahlen den Fuss des Berges trafen. Dann begann ein Tanz in den aufsteigenden Luftmassen, wie er schöner nicht hätte sein können.

Sofort setzt grossflächige Thermik ein, gebremst von einer Höheninversion. Bild Matthews Pellegrini einige Kilometer nach dem Start von Mornera (rechts am Bildrand).

Es war bitterkalt, mein Wasserschlauch gefror schon bald und ich verbrachte Stunden damit, mit den Armen zu rudern und die Hände zusammenzuschlagen. In einzelnen Fingern verlor ich immer wieder das Gefühl und sie wurden hart. Die Sensationen dieses Fluges waren so gross, dass ich nicht daran dachte, landen zu gehen.

Bitterkalt, aber zu schön zum Landen. Rechts ganz weit hinten winkt der Monte Rosa, erste Wendepunkt. Foto: M. Pellegrini

Als wir Domodossola erreichten, beschlossen Adi und später Frank, umzukehren und etwas anderes zu probieren, als das übliche Dreieck. Ich kämpfte mich in übler Luvthermik aus der Tiefe hoch und drang bis ins Tal zum Monte Rosa vor. Ich wendete etwas früh vor Macugnaga, da mir der Talwind und die Wolkenbilder nicht ganz geheuer waren. Ich war hier etwas langsam geworden. Stunde um Stunde flog ich einen Schnitt von ziemlich genau dreissig Kilometern, und das wollte ich auch so beibehalten.

Einfach nur sensationell. Matthews fotografiert von Nicole Leuenberger.

Die Talsprünge hinauf ins Val Formazza gelangen ganz passabel, die Höhe war sehr gut. Ich wäre gern die linke Seite des Tals hinaufgeflogen. Aber, ich erinnere mich, dass da was nicht ganz koscher war. Der Wind oder die Wolken, oder beides. Jedenfalls nutzte ich die vielen Abrisskanten der rechten Talseite und kam auch so recht gut voran. Jetzt kommt wieder eine Lücke in meinem Gedächtnis. Hinten im Val Formazza wäre eigentlich die Wende für das 200er Dreieck. Warum beschloss ich, weiter nach Nordosten zu fliegen? Vielleicht wegen der unglaublich schnellen Route über die obere Leventina und die herrliche Schneise im Val Blenio, die mich fast sicher wieder nach Bellinzona bringen würde.

Tatsächlich hatte ich bereits einige Male Probleme bekommen, ein Dreieck über das Maggia- und das Verzascatal fertig zu fliegen. Wir reden hier eigentlich über ein ausgewachsenes Trauma. Ich habe hier schon so viele Dreiecke in traurige Abgleiter verwandelt, dass ich mich nicht wundere, an diesem Tag weiter nördlich geflogen zu sein.

Blick am Mittag in die Weiten des Valle Verzasca. Dort hinten finden später die Querungen des zweiten Schenkels statt. Foto: M. Pellegrini

Das Val Formazza schenkte mir unglaubliche 3500 Meter Höhe, absoluter Höhepunkt im Tessin für mich. Rückenwind, natürlich, Rückenwind trug mich jetzt in riesigen Schritten über die höchsten Talschlüsse der Tessiner Täler. Ein Tessiner Kollege schwenkte aus dem Val Onsernone vor mir auf dieselbe Route Richtung Leventina, und ich wollte mich von meiner besten Seite zeigen. Bestimmt hatte er mich schon erspäht in meiner atomaren Höhe.

Mein unbekannter Begleiter entpuppt sich als Christian Thio, ein lieber Fliegerkollege im Tessin.

Gemeinsam überquerten wir die tiefen Talgründe der Maggia und der Verzasca und schliesslich des Ticino. Ich war etwas vorne, fand aber nicht so schnell gutes Steigen wie der Mann neben mir. (Anmerkung später: Dies war Christian Thio, einer der Tessiner Streckenpiloten, die schliesslich das 200-er FAI auch schafften, erst 2017? Noch ist der 200-er Club im Tessin eine handverlesene Gruppe). So schnell ging das heute. In Minuten war er tausend Meter höher und weg. Ich liess mich nicht bitten und nahm dieselbe Kante, wie er vorher, und schwenkte nach Südosten ein, über dem mächtigen Grat, der sich bis zum Mottone über Biasca hinzieht.

Die Schneise im Val Blenio, die ich letztes Jahr entdeckte, ist von seltener Güte, was Thermik am Nachmittag betrifft. Der starke Talwind schwenkt hier aufwärts ein, und oft bin ich hier Kilometer um Kilometer geflogen, ohne zu drehen und ohne dass das Variometer aufgehört hätte, in hohen Tönen zu singen. Auch heute ist es nicht nötig, Höhe zu machen und mit viel Gas zu fliegen. Kontrolliertes Steigen mit wenig Gas bringt mich ebenso weit, mit viel mehr Genuss und weniger Stress.

Meine Geheimkante, die es heute nicht mehr ist. Am 21. 3. treffe ich hier auf Sabina Stegmann, die den Trick offenbar noch nicht kennt. Wir kreuzen uns und fliegen getrennte Wege.

Ich bilde mir nichts darauf ein, als ich den Kollegen tiefer und später an dieselbe Kante fliegen sehe, hinter mir. Ich habe ihn beobachtet, weit vor mir am Grat. Er hat versucht, weiter vorne am Mottone zu queren und konnte im Talwind nichts Rechtes finden. Nun wird er denselben Genuss haben wie ich. Schliesslich wird er sogar die Genugtuung haben, höher und sicherer nach Bellinzona zurück zu kommen als ich. Aber soweit sind wir noch nicht.

Das grosse Tessiner Dreieck hat sich noch nicht von vielen leicht schliessen lassen. Abschattungen, Talwind, stabile Abende, diese letzten zehn, zwanzig Kilometer zur dritten Wende sind oft genug ungemein schwer. Ich kann wie erwartet problemlos über das Val Calanca ins Val Mesocco fliegen. Jetzt Augen auf! Ja, da drüben ist genügend Sonne. Der Hang ist tief verschneit, aber die Lärchen sonnen sich am Talgrund und stehen dicht in den sonnigen Seitentälern an sonnigen dunklen Gneisschründen. Wie wird der Wind sein? Ich habe da schon fürchterliche Luvaufstiege gehabt.

Es geht, sehr gut. Ich kann rasch aus den Seitentälern aufsteigen, über die Kuppen auf den Grat, der wieder die Schweiz von Italien trennt, wie Stunden zuvor im Westen des Tessins. Jetzt, ja, jetzt, sollte ich den Wendepunkt finden können. Ich habe bereits ein flaches Dreieck von weit über 200 Kilometern in der Tasche, nach einem Start kurz vor Mittag. Aber ich will dieses blaue Dreieck mit der 2 vorne dran! Die Thermik ist immer noch stark, obwohl der Abend im April früh kommt. Abschattungen sind mehr als genug zu sehen. Mein Flügel gleitet so herrlich, der Talwind ist schwach, der Westwind ist schwach.

Matthews Pellegrini (vorne), Nicole Leuenberger und Frank Schaufuss, alle im Schweizer Nova Team HAST, meistern die gewaltigen Bedingungen heute mit Bravour. Sie geniessen schon die Wärme im Restaurant, während ich noch auf dem Heimflug bin.

Ein weiterer Tessiner Kollege scheint auf dem Nachhauseweg zu sein. Wir drehen gemeinsam einen letzten Bart aus. Ich hätte gern die Schleife nach Süden noch weiter gesetzt, um das FAI noch grösser zu machen. Aber die Tücken der langen Täler hinter Bellinzona sind bekannt. Also nehme ich den erst besten Abstieg hinab über die Stadt. Wie sich zeigt, ist es der erst schlechteste…

Ich muss alles Gleiten aus dem Schirm und dem Gurtzeug holen. Beschleunigt überquere ich die engen Quartiere der Stadt. Wird es reichen bis zum offiziellen Landeplatz? Das wäre doch etwas peinlich, diesen Endanflug zu vergeigen. Es geht gerade so auf. Es lohnt sich. Der Tessiner, mit dem ich die letzte Thermik geteilt habe, landet. Er ist überglücklich, wie ich, persönliche Bestleistung im Tessin. Sein Bruder kommt mit dem Auto und mit Bier und Snacks. Ein würdiger Abschluss eines gewaltigen Flugtags.

Luca Coda und ich feiern beide personal best im Tessin – und ich das erste 200er FAI plus grösstes flaches Schweizer Tessiner Dreieck (wird hier etwas anders gewertet – höher als FAI in diesem Fall).

https://www.xcontest.org/2016/world/en/flights/detail:maeder/28.04.2016/09:35